Detlef Juhrich
Nach nationalem Recht sind Fahrschulleistungen zur Erlangung der Fahrerlaubnisklassen B (Pkw-Führerschein) und C1 umsatzsteuerpflichtig, da Fahrschulen nicht als allgemein- oder berufsbildende Schulen angesehen werden. Eine Ausnahme bilden die Schulungsleistungen zum Erwerb von Lkw- oder Busführerscheinen (Fahrerlaubnisklassen C, CE, D, DE, D1, D1E, T und L), da diese Leistungen nach Auffassung der Finanzverwaltung in der Regel der Berufsausbildung dienen und daher nach Paragraf 4 Nr. 21 Buchstabe a, Doppelbuchstabe bb UStG eine Umsatzsteuerbefreiung genießen.
Mit diesem Zweiklassensystem könnte nun Schluss sein. Grund hierfür bietet die europäische Umsatzsteuersystemrichtlinie. Hiernach ist Unterricht, den anerkannte Einrichtungen oder Privatlehrer erteilen, von der Umsatzsteuer zu befreien (Art, 132 Abs. 1 Buchst. i und j MwStSystRL). Soweit das nationale Recht eine Steuerfreiheit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nur unzureichend umsetzt, besteht die Möglichkeit sich auf das günstigere Unionsrecht zu berufen. Davon wurde in diesem Fall Gebrauch gemacht.
Rückfragen beim EuGH
Der BFH hatte vorab den Unterrichtscharakter einer Fahrschulleistung eindeutig bejaht. Auch wurde festgestellt, dass Voraussetzung für die Erteilung von Fahrschulunterricht das Ablegen einer Fahrlehrerprüfung nach Paragraf 4 des Gesetzes über das Fahrlehrerwesen ist. Darüber hinaus könnte auch eine Umsatzsteuerbefreiung als Privatlehrer in Frage kommen. Weiter wollten sich Deutschlands höchste Steuerrichter aber nicht aus dem Fenster lehnen und legten dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:
Umfasst der Begriff des Schul-und Hochschulunterrichts in Art. 132 Abs. 1 Buchst. I und j MwStSystRL den Fahrschulunterricht zum Erwerb der Fahrerlaubnisklassen B und C1?
Kann sich die Anerkennung der Klägerin als Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung im Sinne von Artikel 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSsytRL aus den gesetzlichen Regelungen über die Fahrlehrerprüfung und die Erteilung der Fahrlehr- und der Fahrschulerlaubnis im Gesetz über das Fahrlehrerwesen vom 25. August 1969 (BGBl. I 1969, 1336), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 28. November 2016 (BGBl. I 2016, 2722, FahrlG) und dem Gemeinwohlinteresse an der Ausbildung von Fahrschülern zu sicheren, verantwortungsvollen und umweltbewussten Verkehrsteilnehmern ergeben?
Setzt der Begriff des „Privatlehrers“ in Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MeStSystRL voraus, dass es sich bei dem Steuerpflichtigen um einen Einzelunternehmer handelt?
Wird ein Unterrichtender immer dann bereits als „Privatlehrer“ im Sinne des Art. 132 Abs. 1 Buchst. j MWStSystRL tätig, wenn er für eigene Rechnung und in eigener Verantwortung handelt oder sind an das Merkmal „Privatlehrer“ weiter Anforderungen zu stellen?
Was bedeutet das für die über 10.000 bundesdeutschen Fahrschulbetreiber?
Zunächst heißt es, die Umsatzsteuerfestsetzungen für eine Korrektur offen zu halten. In der Umsatzsteuer besteht die Besonderheit, dass auf die eingereichte Erklärung gewöhnlich keine Bescheiderteilung erfolgt, allenfalls eine Abrechnung.
Zu unterscheiden ist hier zwischen formeller und materieller Bestandskraft. Formelle Bestandskraft tritt ein, wenn ein Bescheid nicht mehr mittels Einspruch angefochten werden kann. Mangels Bescheidung beginnt in der Umsatzsteuer die Monatsfrist mit Abgabe der Erklärung, so dass ein fristgerechter Einspruch innerhalb eines Monats ab Abgabe der Erklärung einzulegen ist, was vielfach sicherlich nicht geschehen ist.
Demgegenüber tritt die materille Bestandskraft erst mit der Unanfechtbarkeit (Festsetzungsverjährung) ein. Da die Umsatzsteuerfestsetzung grundsätzlich unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß Paragraf 164 AO steht, ist vielfach eine Korrektur innerhalb der vierjährigen Festsetzungsverjährung noch möglich. Nur unanfechtbare Steuerfestsetzungen (Erklärungen vor 2014) können nicht mehr geändert werden.
Problem Mehrwertsteuer
Sofern der Fahrschulbetrieb allerdings die Mehrwertsteuer auf Rechnungen gegenüber seinen Kunden offen ausgewiesen hat, schuldet er diese auch bei Bejahung der Steuerfreiheit durch den EuGH gegenüber dem Finanzamt. Es besteht jedoch die Möglichkeit der Rechnungskorrektur gegenüber den Kunden. Eine Rechnungskorrektur ist möglich, bei einer Rückrechnung von vier Jahren. Sie ist allerdings zeitaufwändig, und es würde sich ein Erstattungsanspruch gegenüber den Fahrschülern ergeben, was einem Nullsummenspiel gleichkäme. Als aktuelle Handlungsempfehlung kann Fahrschulbetrieben geraten werden, auf Preislisten, Rechnungen oder Quittungen keinen Umsatzsteuerausweis mehr vorzunehmen, so dass zumindest für die aktuellen Fahrschulgebühren bei positiver EuGH Entscheidung eine Berechtigung der Umsatzsteuer nachteilsfrei möglich wäre.
Vorsicht ist geboten
Für aktuelle Umsatzsteuervoranmeldungen kann ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt werden. Dies ist bei ernstlichem Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides möglich, was bei einer Vorlage an den EuGH im Regelfall bejaht wird. Aber hier ist Vorsicht geboten. Kommt es zu einem abschlägigen Urteil durch den EuGH, werden die ausgesetzten Steuern zuzüglich Verzinsung fällig.
Im Gegenzug hätte die Fahrschule bei positiver EuGH-Entscheidung auf jeden Fall die gezogene Vorsteuer, insbesondere aus der Anschaffung von Fahrschulfahrzeugen nach Paragraf 15 a UStG zu berichtigen und anteilig an das Finanzamt zurückzuzahlen, da die Aufwendungen dann mit den Vorsteuerabzug ausschließenden umsatzsteuerfreien Einnahmen in Zusammenhang stehen. Der Berichtigungszeitraum beträgt fünf Jahre, so dass die Vorsteuer auch aus Investitionen in den Fahrschulfuhrpark der letzten Jahre anteilig wieder zu berichtigen wäre. Ein mühseliges Verfahren.
Unter dem Strich könnte sich daher ein erfolgreiches Verfahren vor dem EuGH für manche Fahrschule als Pyrrhussieg entpuppen mit viel Berichtigungspotential aber ohne pekuniäres Ergebnis für die Vergangenheit.