Von Dennis Gauert
Für seine Jahrespressekonferenz hat Volkswagen Nutzfahrzeuge sich wohl gezielt das Projekthaus Mobile Online Dienste (MOD) in Hannover-Stöcken ausgesucht. Hier arbeiten 60 Angestellte an digitalen Produkten, die ein Teil des "Dreiklang[s] aus neuer Strategie, neuen Geschäftsfeldern und neuen Produkten" werden sollen.
Unter dem Arbeitstitel "GRIP 2025+" werden nun die Weichen für die Zukunft von Volkswagen Nutzfahrzeuge gestellt. In erster Linie bedeutet das eine Modelloffensive und hohe Investitionen von mehr als 1,8 Milliarden Euro.
Nutzfahrzeug-Allianz mit Ford wird konkret
Auf Basis des positiven Geschäftsjahres 2018 soll VWN die nötige finanzielle Stärke besitzen, um einen umfangreichen Konzernumbau zu ermöglichen. Immerhin 500.000 Nutzfahrzeuge hat VWN im letzten Jahr verkauft – trotz WLTP und eines schwachen Marktes im ehemals drittstärksten Absatzland: der Türkei. Auf dieser finanziellen Basis, aber auch auf der gegenseitigen Unterstützung mit Ford, fußen die Investitionen.
Als sei die Allianz mit Ford bereits unter Dach und Fach, erklärt Dr. Thomas Sedran, dass beide Hersteller in Zukunft ihre Stärken bündeln werden. Ein Rahmenvertrag zur allgemeinen Zusammenarbeit, sowie der konkrete Entwicklungsvertrag Pick-up sind demnach geschlossen. Damit ist auch klar, dass der Amarok-Nachfolger auf der Basis des Ford Ranger stehen wird.
80 Prozent aller Nutzfahrzeuge unter Strom
Doch der Konzernumbau ist deutlich umfang- und risikoreicher: Mit dem Fokus auf Elektromobilität stehen VWN nämlich große Herausforderungen bevor. Ab 2025 sollen 80 Prozent aller Nutzfahrzeuge von Volkswagen elektrifiziert sein. Das bedeutet einerseits die Elektrifizierung laufender Modelle und ihrer Nachfolger, andererseits grundsätzliche Neuentwicklungen wie den ab 2022 in Hannover produzierten ID.Buzz und ID.Buzz Cargo.
Er stellt die vollelektrische Version der T-Baureihe dar, die auch autonom fahren soll. "Extrem nützlich, extrem innovativ und zugleich: extrem sexy!" wirft Dr. Thomas Sedran als Schlagwortwolke zum ID.Buzz in den Raum. Wie viel Attraktivität der munter designte Stromer am Ende ausstrahlt, wird auch eine Frage der Politik und neuer Reglementierungen sein. Am Ende muss sich ein Auto für den Fahrer lohnen.
T7 kommt mit Plug-in-Hybrid
Das weniger abgehobene Modell ist der T7, dessen Start nun für 2021 angekündigt ist. Er soll unter anderem mit Plug-in-Hybriden zu haben sein, Diesel- und Benzinmotoren werden weiterhin angeboten. Das Ziel der Plug-in-Hybridtechnologie sieht VWN im lokal emissionsfreien Fahren im städtischen Bereich.
Der Elektromotor soll durch die Aufladung der Akkus per Verbrennungsmotor genügend Strom an Bord haben, um einige Kilometer rein elektrisch durch die Stadt zu brausen. Damit ist der T7 als Hybrid ein Kompromiss mit voller Mobilität, dessen Zweck vor dem Hintergrund der möglichen Diesel-Fahrverbote in Innenstädten entsteht.
Konzernvorstand sucht ganzheitliche politische Unterstützung
Dr. Thomas Sedran wünscht sich von der Politik eine integrierte Verkehrs- und Energiewende. Einerseits solle eine verlässliche Ladeinfrastruktur aufgebaut werden, andererseits eine gesetzliche und steuerliche Förderung für E-Fahrzeuge im Allgemeinen.
"Solange Elektroautos mit Kohlestrom fahren, ist für das Klima nichts gewonnen – im Gegenteil", so Sedran. Die Forderung von VWN ist also ein gesamtpolitisches, gesellschaftliches Umdenken, das am Ende einen klugen Plan aus den 1,8 Miliarden Euro macht, die gerade in den Ausbau der Elektromobilität bei den Nutzfahrzeugen aus Hannover fließen.
Moia soll in Hamburg einschlagen
Doch die Modelloffensive und der Umbau der Werke ist nicht der einzige Teil der neuen Konzernstrategie. Die Mobilitätsdienstleistungen sollen Volkswagen Nutzfahrzeuge künftig den stabilen Stand sichern. Zum 15. April geht in Hamburg die VW-Tochter Moia an den Start. Bis zum Ende des Jahres sollen 500 Fahrzeuge im Einsatz sein. Nach einer Testphase von drei Monaten rollen dann 100 vollelektrische Kleinbusse durch die Hansestadt.
Bei Moia werden die Fahrten mehrerer Kunden miteinander durch einen Algorhitmus kombiniert. Aus- und Zustiege sollen auf diese Weise auch spontan möglich sein und die Einhaltung des Plans nicht gefährden. Per App können die Passagiere feste Preise für ihre Fahrt bezahlen, die oberhalb des ÖPNV und unterhalb einer Taxifahrt liegen sollen.
Im ersten Quartal 2020 will Moia bereits 1600 Mitarbeiter im Dienst haben und langfristig einer der größten Arbeitgeber Hamburgs werden. Optimistische Ziele in einer Stadt, die für Ride- und Carsharing-Angebote auch von Konkurrenten als beliebter Testschauplatz genutzt wird.
Vom vernetzten Auto über mobile Onlinedienste bis hin zum einsatzfähigen autonomen Fahrzeug will VWN ein umfassendes Programm bieten. Die konzernweite Bündelung hat Entwicklungsvorstand Albert Hitzinger übernommen. Zudem betont Dr. Thomas Sedran, man sei in „guten Gesprächen über eine Beteiligung an Argo, der Ford-Tochter für autonomes Fahren“.
Digitales Flottenmanagement wird zur Säule
Eine weitere Säule sind die Mobilen Online Dienste, kurz MOD. Hier werden digitale Mobilitätsdienste und Funktionen entwickelt, die nach und nach Einzug in die neuen Modelle der Nutzfahrzeugsparte von Volkswagen halten sollen.
Allem voran We Connect Fleet, ein digitales Flottenmanagementsystem, das die Verwaltung des Fuhrparks mit GPS-Ortung und Routenverlauf ermöglichen soll. Hinzu kommen Funktionen wie ein digitales Tank- und Fahrtenbuch, Wartungsmanagement und eine Verbrauchsanalyse.
Möglichkeiten also, die echte Mehrwerte für Unternehmen bedeuten können. Sogar dienstliche und private Fahrten sollen unterschieden werden können. Das System ist außerdem offen für Fahrzeuge anderer Hersteller, sodass Volkswagen hier an einer ganzheitlichen Lösung arbeitet.
Car-Net soll darüber hinaus weitere digitale Dienst für Privat- und Gewerbekunden bereit stellen. Über die VW-Telematikbox mit integrierter SIM-Karte wird das Fahrzeug vernetzt. Parkpositionen können abgerufen werden, gar Benachrichtigungen bei Überschreitungen von Geschwindigkeitsgrenzen in festgelegten Gebieten direkt auf das Smartphone geschickt werden.
Um diese Lösungen zu erarbeiten, hat Volkswagen MOD seit 2017 mit 60 Mitarbeitern bestückt und gibt ihnen in Hannover-List 850 Quadratmeter Raum mit einer "Open Space"-Architektur, wie es in der Pressemeldung zu Neudeutsch heißt. Der Austausch und die Transparenz in der fachübergreifenden Zusammenarbeit zwischen Entwicklern, Designer, Produktverantwortlichen und Vertriebs- und Marketingspezialisten sollen so gesteigert werden.
Keine betriebsbedingten Kündigungen bis 2028
Um die Produktion der einzelnen Fahrzeugmodelle zu realisieren, wird Hannover-Stöcken zum "Vorzeigewerk für Elektromobilität" umgebaut. Das bedeutet nicht nur neue Maschinen, Industrie 4.0 und eine eng gestrickte Lieferkette, sondern auch Veränderungen in der Belegschaft. Betriebsbedingte Kündigungen sind bis 2028 erst einmal nicht vorgesehen, wohl aber ein langfristiger Kompetenzausbau beim Personal.
"Wir machen die Belegschaft fit für die künftigen Aufgaben", heißt es da von Dr. Thomas Sedran. Auf die Nachfrage eines Journalisten, wie das im Einzelnen funktionieren soll, meldete sich der Markenvorstand für Produktion und Logistik, Dr. Josef Baumert zu Wort.
Sinngemäß sagte er, ihm klar, dass man von einem Maschinenbauer nicht fordern könne, plötzlich Programmierer zu sein. Man versuche aber alles, um die Belegschaft so weiter zu bilden, dass der laufende Betrieb davon profitiere.